Jan Sonntag
Abstract Atmosphere is a central topic in recent aesthetics elaborated (amongst others) by the German phenomenologist Gernot Böhme. His conceptualization is based on sensual experience. Atmospheres link environmental qualities with human mental and mood states. They can be observed as e.g. heavy, misty, uplifting or threatening – thus they always refer to bodily experiences. Atmospheres act subtly on everyone and exert a strong but amorphous influence on feelings. By elaborating central aspects of the theory of atmospheres and on the basis of my research in music therapy with persons with dementia I will show the importance of the concept for the project Healing Soundscape. By talking about auditory atmospheres I will refer to the following dimensions: a) the relevance of atmospheres on well-being b) the subliminal aspects of atmospheres with special respect to sound c) the relevance of sound as a prototypal atmospheric phenomenon
Keywords: Atmosphere, Aesthetics, Soundscape, Music Therapy
1. Intro
1920 experimentierte Erik Satie anlässlich eines Theaterabends mit der Idee einer Musique d’Ameublement. In den Pausen zwischen den Aufführungen wurden Kompositionen aufgeführt mit der ausdrücklichen Anweisung des Komponisten, ihnen „keinerlei Bedeutung beizumessen und sich während der Pause so zu verhalten, als ob keine Musik gespielt würde“ (Satie zit. n. Wehmeyer 1997, 223). Der Titel dieses Experiments war Programm: Satie dachte sich seine Musik als „Teil der Geräusche der Umgebung (…). Ich stelle sie mir melodiös vor, sie soll den Lärm der Messer und Gabeln mildern, ohne ihn zu übertönen, ohne sich aufzudrängen. Sie soll das oft so lastende Schweigen zwischen den Gästen möblieren. Sie wird ihnen die üblichen Banalitäten ersparen. Gleichzeitig neutralisiert sie etwas die Straßengeräusche, die ungeniert in das Spiel hereinkommen“ (ebd., Herv. JS).
Lange nach Saties Experimenten mit Möbelmusik, aber immer noch bevor kommerzielle Hintergrundmusik ihren weltweiten akustischen Kreuzzug angetreten hatte, experimentierte in den 1970er Jahren der Rockmusiker, Musikproduzent und Komponist Brian Eno mit der Idee von Umgebungsmusik. Ausgangspunkt seiner Arbeit war ein zunächst leidvoller Zwischenfall: Nach einem ernsten Verkehrsunfall ans Bett gefesselt, brachte ihm eine Freundin bei einem Besuch eine Schallplatte mit, die sie auflegte, bevor sie wieder verschwand. Zu seinem Unglück war jedoch seine Stereoanlage defekt und die Musik drang nur so leise aus den Lautsprechern, dass sie gelegentlich von den Umgebungsgeräuschen (darunter Regen) übertönt wurde. Unfähig, sich aus dieser Situation zu befreien, begann er allen Geräuschen, die ihn umgaben, zu lauschen, von denen die zeitweilig zu hörende Musik nur eines war:
“I started to think that it sounded all right – it was really nice to listen to – and I wondered
why no music like this existed. Why couldn’t we buy records that made this beautiful random mixture of things…? I realized that this was what I wanted music to be – a place, a feeling, an all-around tint to my sonic environment” (Eno 1996, 294f, Herv. JS).
Infolge dieser Erfahrung „erfand“ Brian Eno ein völlig neues Musikgenre: Ambient Music. In den Liner Notes zu seinem Album Music for Airports schrieb er: „Ambient Music must be able to accomodate many levels of listening attention without enforcing one in particular; it must be as ignorable as it
is interesting” (Eno 1978, Herv. JS). Eno steht zudem in gewissem Sinne Pate für das Projekt Healing Soundscape, indem er in England ein Krankenhaus mit einer Klang-Licht-Installation ausgestattet hat, die der Heilung zuträglich sein soll.
Die Healing Soundscapes in Wartebereichen des UKE könnten eine Weiterentwicklung dieses Modells sein, indem sie 1. generative Kompositionsmittel nutzen und 2. Räume sonifizieren, die ohnehin von Patientinnen und Patienten frequentiert werden. An diese historischen und aktuellen Meilensteine in der Entwicklung atmosphärebezogener Konzepte in der Musik kann das Projekt Healing Soundscape anknüpfen.
2. Intention and Background
In diesem Beitrag werde ich ein theoretisches Konzept vorstellen, das sich ausgesprochen gut für die Rahmung des interdisziplinären Projektes Healing Soundscape eignet: Das ästhetische Konzept von Atmosphären, das die Beziehung von Umgebungsqualitäten (z.B. auditive Umgebungen) zum subjektiven Erleben thematisiert. Denn genau damit haben wir es in unserem Projekt zu tun: Mit der Gestaltung auditiver Umgebungen, Soundscapes, in Bezug auf das Befinden von Subjekten, nämlich den Patientinnen und Patienten in Warteräumen des Hamburger Universitätsklinikums.
Mein Lern-, Lehr- und Forschungsfeld war und ist die Musiktherapie mit Menschen mit Demenz, wo ich immens viel über die atmosphärische Wirkungen, die Rollen von Sound und Music sowie Möglichkeiten der Einflussnahme auf Atmosphären erfahren durfte. Umfangreich sind diese Erkenntnisse in meiner Dissertation (Sontnag 2013/16) ausgeführt, aus der vor allem die Passagen zum Musikverständnis (Kap. 5.2) und zur Gestaltung auditiver Milieus (Kap. 6.2) sowie atmosphäretheoretische Überlegungen (Kap. 4.2) für das Projekt Healing Soundspace interessant sein dürften.
My background:
• Music Therapy in the dementia field leading to an atmosphere oriented therapeutic concept with special respect to auditory environments.
• Research leading to a dissertation at HfMT, published as „Demenz und Atmosphäre. Musiktherapie als ästhetische Arbeit“ at Mabuse Verlag, 2013/16.
• Theory of atmosphere as elaborated in recent philosophy of aesthetics and phenomenology (Hermann Schmitz, Gernot Böhme and others).
3. The theory of Atmosphere
Atmosphere has been developed theoretically as a philosophical term in more recent phenomenological writing, such as that of Hermann Schmitz, and particularly in the work of the philosopher Gernot Böhme. He identified atmosphere as a key concept in new aesthetics based on sensual experience. The theory is easily accessible for those whose work involves awareness and creation of atmospheres, such as architects, composers, designers and artists. Thus it functions great for interdisziplinary projects like Healing Soundscape. Böhme described activities that deal with atmosphere as “aesthetic work” (Böhme, 1995, 24ff). In this sense we can understand our endeavor as aesthetic theory and practice.
Im Projekt Healing Soundscape interessiert uns vor allem die Beziehung zwischen dem Befinden der wartenden Patientinnen und Patienten und ihrer räumlichen Umgebung, die wir sonifizieren wollen. The in-between, das Dazwischen – Atmosphären sind ein Zwischenphänomen. Sie haben nach Böhme „(…) mit der Beziehung von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden zu tun. Dieses Und, dieses zwischen beidem, dasjenige, wodurch Umgebungsqualitäten und Befinden aufeinander bezogen sind, das sind die Atmosphären“ (Gernot Böhme 1995, 22f). Sie sind „(…) die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen. Sie ist die Wirklichkeit des Wahrgenommenen als Sphäre seiner Anwesenheit und die Wirklichkeit des Wahrnehmenden, insofern er, die Atmosphäre spürend, in bestimmter Weise leiblich anwesend ist“ (Gernot Böhme 1985, 194).
Environments influence how we feel where we are in the context of our own inner mental and mood states. The relation of environments and our inner states is called atmosphere. Thus atmosphere relates the physical and social environment to our internal experience. If this means primarily a subjective quality of the experience, there can be a portion of intersubjectivity because atmosphere is always transmitted by sensual perceived external environment such as soundscapes. In creating soundscapes to evoke specific “healing” responses in the patients we have to explore those sound qualities that build a common ground for auditory experience.
Atmospheres are perceived as a pre-reflective overall feeling in which input from all the senses is combined. They are created by the presence of things, people and environments and exert a strong but amorphous influence on human mental and mood states. Here we can start to consider influencing atmospheric effects in order to reduce stress and culturally enrich waiting situations in hospitals. I will later explain why sound and music can play a central role in this context.
3.1. Pre-reflectivity Atmosphere deals with pre-reflective feeling.
„Das Atmosphärische führt“, so hat es der Musiktherapeut Eckhard Weymann einmal ausdrückt, „in vor-gestaltliche und präverbale Erlebensformen hinein“ (Weymann 2005, 237). Ihr Wirkungsbereich liegt also unterhalb unseres rationalen Denkens. Wo unsere Kognitivität entweder noch nicht (z.B. beim kleinen Kind), nicht mehr (z.B. unter dem Einfluss von Demenz) oder temporär nicht (z.B. bei großer Müdigkeit) voll intakt ist, wird die Bedeutung von Atmosphä- ren besonders evident. Viele Menschen mit Demenz beispielsweise werden besonderes vulnerabel für maligne Atmosphären, dabei geleichzeitig besonders empfänglich für benigne Atmosphären (vgl. Sonntag 2013/16, 155ff), Die merkwürdige Situation des nervösen oder dumpfen Wartens im Krankenhaus könnte ebenfalls in innere Verfassungen führen, in denen die rationalen Fähigkeiten diminuiert werden und sich die – ohnehin zu jeder Zeit subtil wirksamen – Qualitäten des Atmosphärischen besonders stark entfalten.
3.2 Sound and music Sound and music are atmospheric prototypes.
Musik hat etwas zutiefst Atmosphärisches. So schreibt der Musiktherapeut Martin Deuter: „Das Umhülltsein, das Drinnen-Sein im umgebenden Raum der Wahrnehmung kennzeichnet das Erleben von Atmosphären, und es bestimmt auf vergleichbare Weise auch das musikalische Erleben“ (Martin Deuter 2005, 223).
Bestimmte musikalische Formen und Konzepte thematisieren Atmosphären in besonderem Maße. Besonders wenn dort Musik nicht so sehr als Zeitkunst, sondern als Raumkunst (vgl. Böhme 2005, 310) erscheint, weniger Geschichten erzählt als durch Soundscapes leiblich-sinnlich erlebbare Zustände evoziert (vgl. Sonntag 2013/16, Kap. 5.2.1). Satis Musique d’Ameublement, Ligetis Orchesterstück Atmosphères, Enos Ambient Music und viele zeitgenössische Klang-Raum-Installationen behandeln die basalen sinnlich-emotionalen Qualitäten von Sound, ihre Dynamik und ihre Vitalitätsformen jenseits bewusster Rezeptionspraxis.
Dabei ist Musik nur eine Spezialform auditiver Phänomene. Aus Sicht der Atmosphäretheorie muss jedes Schallereignis als prototypisch atmosphärisch gelten. Schall löst sich von seiner Quelle, wandert oder geistert durch den Raum, erscheint gewissermaßen ortlos – wie Atmosphäre. Hier kommt der Begriff Soundscape ins Spiel.
3.3 Soundscape
Soundscapes are auditory Atmospheres.
Soundscape is a word that the Canadian composer and sound ecologist Richard Murray Schafer created from the English word landscape back in the 1970s (Schafer 1977). Soundscape describes our acoustic surroundings in relation to the perceiving subject. By sound Schafer means the sum of all noises, musical tones, and speech sounds. Viewed from a phenomenological perspective, soundscape encompasses the whole of the sounding environment from a sensory perspective; the extended definition ranges from one’s own bodily sounds to sounds in a room to the most distant hearable occurrence. As such sound is
an in-between-phenomenon just as atmosphere but with the specification to the auditory.
Schafers aim was to contribute to the preservation of acoustic ecosystems – environmental protection as it were. His group of sound ecologists represented a certain idea of what a “healthy” sound environment with a strong tendency to idealise pre-industrial rural soundscapes. They pointed out the immense difference between standardized urban and differentiated rural soundscapes and the effects of industrialization. Considering Schafers ecologic impetus, the moral stance of the sound ecology movement during the 1970s becomes clear. For the considerations in our project Healing Soundscape it is important to keep artistic freedoms free from moral norms and quasi mechanistic functionality. The reference to artistic concepts therefore is crucial. That’s why we refer to Soundscape not only in its original meaning but also as a special non-narrative type of sonic compositions such as incorporated for example in movie soundtracks.
3.4 Perceiving and creating Soundscapes
Atmospheres have a passive and an active side.
Atmosphären werden gebildet durch alles und jeden im Raum sowie durch den Raum selbst. Gleichzeitig sind wir ihnen gleichsam passiv ausgesetzt – indem sie beständig und gesamtsinnlich auf uns einwirken (Sonntag 2013/16, 113ff). Das gilt für Atmosphäre insgesamt und besonders für auditive Atmosphären (Musik und Soundscapes). Voraussetzung für die Wirkung auditiver Atmosphären ist ein archaisches Klangerleben im Gegensatz zu analytischem Hören. In diesem Klangerleben fühlen wir uns von Sound umhüllt sowie leiblich berührt und betroffen. Es besteht als subtile, früh entwickelte Dimension unseres Erlebens jederzeit, kann aber als Wahrnehmungseinstellung auch eingeübt werden und verstärkt auftreten, wenn wir (z.B. unter dem Einfluss starker Mü- digkeit) unvermögend sind, uns kognitiv von Atmosphärenwirkungen zu distanzieren. Dann werden auditive Atmsophären zur „Modifikation des Gefühls, im Raum zu sein“ (Böhme 2005, 307). Sie „formieren das Sich-Befinden des Hörers im Raum und greifen unmittelbar in dessen leibliche Ökonomie ein“ (Böhme 2006, 78). Dreh- und Angelpunkt einer atmosphärischen Auffassung musikalischer Einwirkungen ist somit die leibliche Anwesenheit im Raum. Beide Erlebnisformen, das analytische Hören und das archaische Klangerleben, können durch bestimmte Klangqualitäten gewissermaßen provoziert werden. Die Akustik der Hamburger Elbphilharmonie z.B. scheint das Analytische zu betonen. Sie wird als transparent, detailbetont, differenziert beschrieben, bisweilen auch als kühl und technisch. Welche Klangqualitäten Wartebereiche im Krankenhaus künstlerisch-kulturell bereichern, nicht in Emotionale Manipulationsräume verwandeln und dennoch intentional das Befinden der Patientinnen und Patienten adressieren, wird unter anderem Gegenstand des Projekts Healing Soundscape sein. Aus der weiten Perspektive der Atmosphärentheorie werden wir uns darin den intersubjektiv teilbaren Wirkungen der verwendeten Klänge (musikalischen Universalien) mit besonderem Blick auf atmosphärisches Erleben zuwenden müssen, das immer ein leiblich-sinnliches Erleben ist:
Faucht der Klang mich an oder streichelt er mich? Streichelt er mich so lange,
bis ich ihn gar nicht mehr spüre? Wie meldet er sich zurück in meine Wahrnehmung? – Stechend, kitzelnd, mich freundlich drückend?…
Literatur
Böhme, G. (1995): Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt: Suhrkamp.
Böhme, G. (2005): Die Musik modifiziert das Gefühl, im Raum zu sein. Ein Gespräch mit Gernot Böhme. In: Musiktherapeutische Umschau, 26 (3), 307-313.
Böhme, G. (2006): Architektur und Atmosphäre. München: Fink.
Eno, B. (1978): Music for Airports. Ambient 1 (Liner notes from the initial American release). PVC 7908 (AMB 001).
Schafer, M. (1977): The Tuning of the world. New York: Knopf.
Sonntag, J. (2005): Akustische Lebensräume in Hörweite der Musiktherapie. Das Ambiente stationärer Betreuung von Menschen mit Demenz. In: Musiktherapeutische Umschau, 26 (3), 263-274.
Sonntag, J. (2013/16): Demenz und Atmosphäre. Musiktherapie als ästhetische Arbeit. Frankfurt: Mabuse.
Wehmeyer, G. (1997): Eric Satie. Kassel: Bosse.
Weymann, E. (2005): Atmosphäre. Ein Grundbegriff für die Musiktherapie. In: Musiktherapeutische Umschau, 26 (3), 236-249.