Environmental Music Therapy – Eine Pilotstudie über die Effekte von Musiktherapie in einer sogenannten Chemotherapy Infusion Suite

Zusammenfassung des Artikels von Bernardo Canga et al

12.08.2016
Pilotprojekt: Healing Environment
Abschlussbericht, Literaturhintergrund
Wiebke Ammermann

1. Die Pilotstudie im Überblick

Bernardo Canga et al arbeiteten bei ihrer Pilotstudie zu den Effekten von Musiktherapie mit einem städtischen Onkologie-Zentrum zusammen, wobei die Environmental Music Therapy, im Folgenden EMT genannt, in ambulanten Bereichen, im Wartezimmer sowie in der sogenannten Chemotherapy Infusion Suite angewendet wurde. In der Krebsbehandlung würde die EMT laut Canga als nicht-invasive physische und geistige Intervention durchgeführt und berücksichtige die Bedürfnisse von Betreuern, medizinischem Personal, Patienten und Familien, welche emotionalem Stress ausgesetzt sind. Die Methode der »live music therapy« wurde erstmals durch den Musiktherapeuten Steve Schneider definiert.

2 Bisherige Erkenntnisse und Studien

Für die Pilotstudie in der Chemotherapy Infusion Suite wurden durch Bernardo Canga et al im Vorfeld Ergebnisse aus verschiedenen Studien zusammengetragen. So ergäbe die Befragung von 355 Krebspatienten einer ambulanten Onkologieklinik durch C. Catania, dass mehr als 300 Personen ästhetische Erfahrungen zur Verbesserung der Wartezeit vorschlagen würden, nachdem durch 15 Fragen die emotionalen Auswirkungen des Wartens, Stimmungen und Ängste der Patienten ermittelt wurden. Von vielen Patienten seien in einer Studie von Mulcahy et al die Effekte des Wartens gar als schlimmster Teil der Krebserkrankung beschrieben worden, wobei Angst, Depression und körperlicher Schmerz erwähnt würden. Wichtige Erkenntnisse lieferte zudem eine Befragung von 344 Angehörigen in der Onkologie und im allgemeinen Krankenhausumfeld durch The State Anxiety Inventory. Das Angstlevel der Angehörigen sei demnach abhängig von Geschlecht, stationärem oder ambulanten Aufenthalt sowie Wohnortnähe des Patienten, und der Unterstützung des Gesundheitssystems. Fahrlässig untersuchte Patienten, Mitgefühlsmüdigkeit und Burnout führten darüber hinaus zu emotionaler Belastung beim pflegenden Personal, was in einer hohen Fluktuationsrate, dienstlichen Fehler und somit niedrigerem Zufriedenheitsniveau bei Patienten resultierte.

Positive angstreduzierende Effekte zeigten sich zum Beispiel in den zwölf Studien von M. Cooke. Während eines Kurzaufenthaltes hörten die Patienten über Kopfhörer eine aufgenommene Musik, welche sich auf drei bis vier unterschiedliche Genres beschränkte. Es sei hierbei keine individuelle Anpassung an die Probanden erfolgt und es gebe außerdem keine Informationen darüber, ob auch Live-Musik verwendet wurde. Cooper und Foster verwendeten in ihrer Studie zwar eine Vielzahl von Musikgenres, böten aber zum Einen keine näheren Details darüber, ob es sich um aufge-zeichnete oder live gespielte Musik handelte und zum Anderen fehlten Angaben über die Quali-fikation der musikanbietenden Personen; laut Canga zwei entscheidende Punkte für eine Studie im Bereich der EMT.

3 Methoden der Pilotstudie

3.1 Auswahl der Musik

Die angebotene Musik solle sich der Umgebung im Moment anpassen und basiere auf Raum-dynamik, Geräuschpegel und sporadischen Musikwünschen der Hörer. In wöchentlichen Umfragen würden die Bedürfnisse von Patienten, Pflegern und Personal ermittelt und nachfolgend eine große Vielfalt an Musikgenres bedient, wobei zwei Musiktherapeuten im Duo oder Solo unter Verwen-dung von Violine, Keyboard, Gitarre, Ocean Drum usw. spielten.

3.2 Ablauf und Vorbereitung der Interventionen

In einem Zeitraum von vier Monaten fände einmal wöchentlich eine 30-minütige sogenannte Intervention statt. Vor dem eigentlichen Beginn würden zunächst ca. fünf Minuten lang die Umgebungsgeräusche durch Hören und Auswerten ermittelt. Die folgende Anfangs-Improvisation im langsamen Tempo diene dazu, einfache Melodiebewegungen zu entdecken, welche diese Umgebungsgeräusche einarbeiten und im Folgenden eine Basis für melodische und harmonische Strukturen bildeten. Nun könnten Tempo und Dynamik für die Zuhörer angepasst werden, indem sich die Musiker an ihren Gesichtsausdrücken und Körpergesten orientierten. Repetitive Melodiebausteine erfüllten häufig die Erwartungshaltung des Hörers und würden die Unvorher-sehbarkeit minimieren, welche für Patienten in der Krebsbehandlung die Lebensqualität beein-trächtigen könnte. Harmonische Abläufe und konstante rhythmische Pattern böten dem Hörer darüber hinaus mögliche Entspannung.

3.3 Freiwillige Fragebögen für alle Teilnehmer

Um die Effekte der EMT in dieser Pilotstudie ermitteln zu können, sammelten die beiden Musiktherapeuten Kommentare der Patienten, Angehörigen und des Personals in einem Logbuch. Weiterhin wären 52 freiwillig ausgefüllte Fragebögen von einem unbeteiligten wissenschaftlichen Mitarbeiter unabhängig und gesammelt analysiert worden. Neben 27 Patienten und 10 Angehörigen
nutzen 15 Mitarbeiter (davon zehn in der Infusion Suite und fünf im Warteraum) diese Möglichkeit des Feedbacks.

Frage 1: Gesamtfrage: Effekt von Musik auf die Umgebung
Frage 2: Effekt von Musik auf die Umgebung; Infusion Suite und Wartezimmer
einzeln bewertet
Frage 3: Gesamtfrage: Wahrnehmung der Lautstärke
Frage 4: Bewertung von Musik in der Infusion Suite; aufgefächert in Patienten,
Angehörige, Personal
Frage 5: Bewertung von Musik im Wartezimmer; aufgefächert in Patienten,
Angehörige, Personal
Frage 6: Wahrnehmung der Lautstärke; aufgefächert in Patienten, Angehörige, Personal

4 Ergebnisse

Die Umfragen zeigten den Einfluss der Interventionen auf die Teilnehmer (emotionale Reaktionen und Veränderung der Wahrnehmung von Geräuschen) und dass die Veränderung des Geräuschpegels durch musikalische Erfahrungen physische und psychische Bedürfnisse ansprechen könnte.
Frage 1: Hier zeige sich eine signifikante Tendenz zu den Antworten »changed the environment« und »extremely changed the environment«.
Frage 2: Die ausgewerteten Antworten ließen hier eine Beziehung zwischen Ort des Hörens (Infusion Suite oder Wartezimmer)und Beurteilung erkennen. Hierbei sei ein Übergewicht bei »extremely influential« für die Infusion Suite zu verzeichnen. Der Warteraum hätte eine fast gleich hohe Zahl an Bewertungen bei »changed the environment«. Als »störend« wurde die Intervention nur von wenigen Teilnehmern in der Infusion Suite empfunden.
Frage 3: Die große Mehrheit stufte die Lautstärke als genau richtig ein.
Frage 4: Viele Patienten und ein Großteil des Personals bewerteten die Intervention in der Infusion Suite mit »extremely influential«. Zwei Mitarbeiter schätzen sie »störend« ein. Alle Angehörigen bewerten die Intervention hier mit »extremely influential« oder »changed the environment«.
Frage 5: Die Auswertung ergäbe eine leichte Tendenz der Mitarbeiter, die Intervention im Wartezimmer mit »extremely influential « zu bewerten. Die meisten Patienten bewerten hier mit »changed the environment«.
Frage 6: Anders als erwartet, gab es mehrere Personal-Bewertungen, welche die Interventionen als »zu leise« einstuften. Die große Mehrheit der Patienten empfände die Lautstärke als genau richtig.

5 Diskussion

5.1 Mögliche Einschränkungen der Studie

Die Beantwortung durch das Personal läge im Warteraum bei 90 %, während in der Infusion Suite nur etwa 30 % des Personals an der Befragung teilnahm. Gründe hierfür seien möglicherweise die höhere Mitarbeiterzahl in der Infusion Suite sowie ihr Zeitmangel und fehlende Anreize. Außerdem erlaube der Aufbau der Fragebögen in Form und Design keine detaillierte Betrachtung der unterschiedlichen Personalkategorien. Weiterhin könnten große und enge Räume die Wahrnehmung der Musik verändern und somit die Ergebnisse der Studie beeinflussen. Schließlich wären im Vorfeld keine Studien oder standardisierte Tests zu den emotionalen Zuständen der teilnehmenden Patienten durchgeführt worden.

5.2 physikalische und emotionale Effekte (anhand von Teilnehmer-Berichten)

Die Teilnehmer berichteten sowohl von besserer Kontrolle und Bewältigung als auch von Entspannungsmöglichkeiten und einer Stärkung des Selbstbewusstseins. Gefühle der Hoffnung und Freude könnten verstärkt werden und durch die musikalischen Erlebnisse könne bei den Zuhörern das Bewusstsein für Schönheit geweckt sowie Raum für positive Dinge geschaffen werden.

5.3 Personal-Bewertungen sind von höchster Wichtigkeit

Für das Personal entstünden große emotionale Lasten beim Begleiten von Patienten und Familien und dabei führe fehlende emotionale Unterstützung und ungeklärte Rollenverhältnisse zu Unzufriedenheit und Burnout. In der Musiktherapie werde eine Chance gesehen, ihre Fähigkeiten bezüglich der Patientenversorgung zu verbessern, indem Einfluss auf Stimmung, Gefühle und Selbstbewusstsein genommen werden könnte. Ein Gefühl der Gemeinsamkeit entstehe und mache die Bewältigung von Stressfaktoren einfacher. Wenige negative Bewertungen der Pilotstudie wären entweder auf räumliche Probleme (zu wenig Platz) oder auf intensive Beziehungen zu den leidenden Patienten zurückzuführen.

6 Fazit

Zu empfehlen wäre die sorgfältige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Umfeld, da jeder Bereich besondere Herausforderungen böte, so zum Beispiel die räumlichen Gegebenheiten für Live-Musik in der Infusion Suite. Das Anbieten von so genanntem »in-service«, vor allem für Krankenschwestern, welche die Umgebung des Patienten am Besten kennen, sei besonders hilfreich
bei der Einrichtung von EMT, da auf diese Weise sofortige Rückmeldung zu Zeit, Raum und Patientengeschichte für das Projekt zur Verfügung ständen. Weitere Studien würden ausschließlich Instrumente verwenden, welche in der Hand gehalten und gut transportierbar seien, um eine Flexibilität im Raum gewährleisten zu können. Teilnehmer könnten vermehrt mit einbezogen und
musiktherapeutische Erfahrungen für die Patienten individualisiert werden (gemeinsames Musizieren, auch Improvisieren mit dem Therapeuten). Dies könnte die Verbesserung von Stimmung und Lebensqualität fördern und gleichzeitig Angst, diastolischen Blutdruck und Erschöpfung reduzieren. Insgesamt könne eine veränderte Wahrnehmung von Trauma und Angst eine Akzeptanz des körperlichen Zustandes bewirken.